Das Zauberwort lautet „Grip“
Was für die Fahrgäste so schön rot und gelb durch die Luft wirbelt, macht den Lokführer:innen und ihren Zügen ganz schön zu schaffen. Im Herbst gelten eben andere Regeln. Welche das sind und was die sogenannte „Sandprüfung“ damit zu tun hat? Um das zu erfahren, haben wir uns an diesem frühen Morgen (oh mein Gott, es ist noch so früh!) besonders zeitig aus der Bettdecke geschält. Wir treffen Uwe, den Herbstbeauftragten der S-Bahn München und seine Kolleg:innen an der Hackerbrücke. Torsten erklärt uns, was hier passiert. Von 6:30 bis 9:30 Uhr steht das Team mit acht Personen jeweils zu zweit an einem Gleis und überprüft die vordersten Besandungsanlagen an jedem Zug. „Das sind die Wichtigsten. Denn wenn der Zug vorne einen guten Grip hat, dann bremst er zuverlässig“, erklärt uns Torsten.
Den Bremsweg im Blick
Mit dem fehlenden Grip ist es bei der S-Bahn wie beim Auto: Treffen die Räder auf Wasser, feuchtes Laub und Co., beginnt das Rutschen. Klar, im Fall der S-Bahn sind es keine Reifen und klar, eine S-Bahn kann auch nicht aus der Spur fliegen. Aber der Bremsweg verlängert sich durch solche Wetter-Eskapaden immens. Und das kann vor allem dann eine Herausforderung sein, wenn die Züge in den Bahnhof einfahren. Unter anderem auch, weil sie bei der Masse an Menschen, die die S-Bahn München jeden Tag befördert – immerhin bis zu 950.000 an der Zahl –, zum Großteil sehr eng getaktet sind und daher mit geringem Abstand fahren.
Eine Prise Sand, bitte!
Damit trotz Herbstlaub und glitschigen Schienen alles sicher und flott bleibt, gibt es also jedes Jahr aufs Neue die Sandprüfung. Dazu bitten Torsten und die Kolleg:innen – immer zwei, also an jeder Seite des ersten Zuges einer – den Lokführer oder die Lokführerin, während die neuen Fahrgäste einsteigen, kurz die Besandungsanlage zu betätigen. Dann leuchten sie mit Taschenlampen dem Zug auf die „Füße“, um zu sehen, ob aus den dort angebrachten Rohren auch genug Sand austritt. Das passiert sonst während der Fahrt und sorgt dafür, dass die Gleise auch in Bereichen mit viel Baumbewuchs und Co. griffig bleiben.
Dem Herbstcheck entgeht keiner
Rund 100 S-Bahnen schauen sich die Kolleg:innen an diesem Tag an. Der Rest der knapp 240 S-Bahnen kommt natürlich auch noch dran. Alles im laufenden Fahrbetrieb, damit der Fahrplan nicht beeinträchtigt wird. Ist ein Zug auffällig – zum Beispiel dann, wenn kein Sand austritt –, wird er direkt ins Werk Steinhausen geschickt, zur genaueren Kontrolle und Ausbesserung. „Bisher haben meine Kolleg:innen und ich heute einen auffälligen Zug hier bei uns am Gleis melden müssen“, erzählt uns Torsten. Und was passiert, wenn die Besandungsanlage im laufenden Betrieb ausfällt, also während die S-Bahn fährt? Dann dürfe der Lokführer oder die Lokführerin nicht mehr die mögliche Höchstgeschwindigkeit erreichen, sondern muss deutlich langsamer fahren, damit er seinen Bremsweg sicher kalkulieren kann.
Es fährt ein Zug nach Nirgendwo …
Schon in ihrer Ausbildung werden die Triebfahrzeugführer:innen dafür sensibilisiert, dass im Herbst besondere Regeln gelten, erklärt uns Torsten, während er ein weiteres Häkchen auf seiner Liste macht. Auch dieser Zug hat den Check bestanden. „Es gibt ein eigenes Ausbildungsmodul, das sich mit der Sondersituation Herbst beschäftigt. Darin wird den neuen Kolleg:innen zum Beispiel beigebracht, dass sie den Fahr- und Bremshebel mit noch mehr Fingerspitzengefühl betätigen als ohnehin schon.“ Zusätzlich zur jährlichen Sandprüfung und der gezielten Mitarbeitendenausbildung setzt die S-Bahn München in der wetterkritischen Zeit von Mitte September bis Mitte Dezember sogenannte Schienenpflegezüge ein. Zwei Lokomotiven plus gelber Wagen mit Hochdruckdüsen sorgen dafür, dass die Gleisbereiche, die zum Beispiel nah an Bäumen liegen, extra gereinigt werden. Praktisch wie ein Kärcher für die Schienen.
Ein Teufel zum Knuddeln
„Ist doch herrlich, bei diesem tollen Herbstwetter hier draußen zu stehen“, sagt Torsten und lächelt. „Außerdem schlagen wir bei der Aktion gleich zwei Fliegen mit einer Klappe. Wir sorgen dafür, dass für die Fahrgäste auch in der herbstlichen Jahreszeit alles sicher bleibt und erinnern die Kolleg:innen gleichzeitig daran, dass sie den Herbstteufel ab jetzt wieder einkalkulieren müssen.“ Herbstteufel … So teuflisch sieht der kleine Kerl eigentlich nicht aus, den Torsten uns zum Abschied schenkt. Den haben die S-Bahn München Mitarbeiter neulich alle auf dem Schreibtisch gehabt, als kleinen Reminder für die herbstlichen Herausforderungen. Aber klar: Wer den Herbst so gut im Griff hat, für den ist der Teufel letztlich auch nicht bedrohlicher als ein knuffiges Stofftier.