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Taktiles Leitsystem – Wie sich Blinde & Sehbehinderte am Bahnhof zurechtfinden

Orientierung im öffentlichen Nahverkehr – in einer großen Stadt wie München fällt das wohl kaum einem Fahrgast ausnahmslos leicht. Wie müssen sich da erst Menschen mit Sehbehinderung fühlen?! Das kann uns Karl nicht sagen. Aber der stellvertretende Leiter der Münchner Bahnhöfe weiß, wie es funktioniert – das taktile Leitsystem, das Menschen mit Sehbehinderung ermöglicht, sich mithilfe eines Blindenstocks selbständig an Haltestellen zu bewegen. Viele dieser Orientierungspunkte, die für Seheingeschränkte unabdingbar sind, nehmen Sehende nicht einmal wahr. Spannend ist es allemal! Grund genug, dass wir uns das Ganze vom Experten am Hauptbahnhof mal zeigen lassen.

Eine Person mit Blindenabzeichen und Blindenstock nutzt das taktile Leitsystem

So oft laufen wir daran vorbei – nie ist es uns aufgefallen

Beschriftung eines Handlaufs innerhalb des taktilen Leitsystems

Wir starten am Eingang Bayerstraße. Die Kanten der Treppenstufen sind dort weiß gefärbt. „Der Kontrast hilft Menschen mit eingeschränktem Sehvermögen die Stufen besser wahrzunehmen“, erklärt Karl. Am Metallhandlauf in der Mitte der Treppe fällt auch etwas auf: Hinweise in lateinischer und Braille-Schrift sind dort angeschweißt. „Bayerstraße“ ist dort zu lesen und ein Pfeil, der Richtung Bahnhof zeigt. So oft sind wir schon daran vorbeigelaufen – nie ist es uns aufgefallen. An der oberen Treppe angekommen, weist ein Weg aus eingelassenen Rillen im Steinboden die Richtung zu den Bahnsteigen. Wir folgen ihm und gelangen an den Anfang von Gleis 11. Zur Orientierung hängt am Geländer daneben ein Metallschild mit der eingravierten Gleiszahl. Wir schauen uns um und bemerken, dass wir auf einem weiß genoppten Bodenbelag stehen. Deko? Fehlanzeige! „Die Noppen am Boden weisen darauf hin, dass sich hier die Richtung ändert“, klärt der Experte auf und deutet auf die Fläche zu unseren Füßen.

Die weißen Streifen am Boden entlang der Gleise sind wichtige Orientierungshilfen des taktilen Leitsystems und sollten immer frei bleiben.

Das taktile Leitsystem am Boden

Weiße Streifen? Keine Deko!

Sehbehinderte Person mit Blindenstock nutzt das taktile Leitsystem

Gerade wollen wir weiter, da treffen wir zufällig Simone am Bahnsteig. Sie trägt um ihren Oberarm ein gelbes Band mit drei schwarzen Punkten – das Signalisierungs-Armband für Blinde. Nach einer Operation hat sie ihr Sehvermögen fast komplett verloren. Heute ist sie mit ihrer Trainerin des Blinden- und Sehverbands unterwegs. Diese zeigt ihr, wie sie sich an Orten wie dem Hauptbahnhof mithilfe des taktilen Leitsystems orientieren kann. Vom genoppten Quadrat am Boden geht ein weißer, geriffelter Streifen weg. Er führt entlang des Gleises. Simone lässt den Blindenstock vor sich hin und her rollen, sie spürt die Riffel und findet so den Weg zum Zug. Schwierigkeiten bereiten ihr und anderen Menschen mit Sehbehinderung dabei Fahrgäste, die beispielsweise auf dem weißen Streifen stehen. „Die Funktion der weißen Streifen am Boden ist den meisten sehenden Fahrgästen kaum bewusst. Für Blinde und Menschen mit Sehbehinderung sind es jedoch elementare Orientierungshilfen. Es ist deshalb wirklich wichtig, dass niemand auf den Streifen stehen bleibt“, sagt Karl. Und Simone nickt zustimmend.

Orientierung für alle

Mitarbeitender des Hauptbahnhofs München

Mit dem barrierefreien Umbau von Bahnhöfen, wie er derzeit zum Beispiel in Buchenau oder an den Tunnelbahnhöfen wie dem Rosenheimer Platz erfolgt, bekommen übrigens immer mehr Stationen ein taktiles Leitsystem. „Der Anspruch muss sein, dass sich jeder – mit oder ohne Einschränkung – sicher an unseren Bahnhöfen orientieren kann. Daran arbeiten wir als DB gemeinsam mit Bund und Land sehr intensiv“, bestätigt Karl.

Kostenlose Hilfe für alle, die Orientierung brauchen

Das taktile Leitsystem am Boden

Wer neu nach München einfährt oder sich an den Bahnhöfen nicht gut auskennt, kann übrigens auch jederzeit den kostenlosen Mobilitätsservice der Deutschen Bahn in Anspruch nehmen. Einen Tag vor Ankunft kann sich jeder, der Hilfe benötigt, dort anmelden. Servicemitarbeitende helfen dann beim Ein-, Um- oder Aussteigen und begleiten den Fahrgast auch zum Taxi oder zu anderen öffentlichen Verkehrsmitteln – manchmal auch im Caddie. Dieses Angebot wird gerne und dankend angenommen: „Wir bekommen im Durchschnitt 100 Aufträge pro Tag“, erzählt Karl. Den Mobilitätsservice der Deutschen Bahn erreicht ihr übrigens von montags bis freitags von 6 bis 22 Uhr und samstags, sonntags und feiertags von 8 bis 20 Uhr unter der Nummer 0180 6 512512*.

*(Festnetz: 20 ct/Anruf, Mobilfunk max. 60 ct/Anruf)

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